mehr KLANG: Interview Interpretinnen
Mediha Khan & Sarah Kollé – Klavier & Sopran
Fakten, Gedanken, Hintergründe von und zu LICHTMediha Khan setzt ihren Schwerpunkt auf Liedgestaltung. Die Pianistin war u. a. beim Mitteldeutschen Rundfunk Leipzig tätig und hat als Interpretin an bedeutenden Konzertreihen und Musikfestivals, wie dem Heidelberger Frühling teilgenommen. Sie besuchte etliche Meisterkurse, bestreitet derzeit ihr Meisterklassenexamen in Liedgestaltung bei Prof. Alexander Schmalcz an der HMT Leipzig und ist mehrfache Stipendiatin namhafter internationaler Institutionen.
Bereits 2019 hat Mediha an der Werkbühne-Produktion Clara im Rückspiegel mitgewirkt und war nun bei LICHT auch konzeptionell in den Kreationsprozess involviert. Die Auswahl des Liedgutes von George Crumb und Henry Purcell hat sie zusammen mit der Kollegin Clara Barbier Serrano (die nun leider zur Aufführung verhindert ist) vorgenommen und somit maßgeblich den Duktus der musikalischen Darbietung bestimmt.
Die Sopranistin Sarah Kollé steht für klassische Opernrollen sowie als Interpretin zeitgenössischer Musik auf der Bühne. Sie war Mitglied des Schweizer Opernstudios und absolvierte die Meisterklasse an der HMT Leipzig, hat an diversen namhaften Meisterkursen teilgenommen und ist Stipendiatin mehrerer Schweizer Stiftungen. Für die Werkbühne Leipzig hat sie bereits bei der Inszenierung IMENEO (2019) und jüngst bei IMENEO (2021) den Part der Rosmene gesungen. Sarah übernahm nun kurzfristig den Gesangspart in LICHT.
Mediha, was ist dein LICHTtrigger – was fasziniert dich an der Idee?
[MK] Der erste Lockdown vor einem Jahr hat mich in eine Art Schockstarre versetzt: aus einem ereignisreichen Leben und Wirken hinein in die absolute Stille und Einsamkeit. Beängstigend fand ich an mir zu beobachten, dass ich digitale Mittel zunächst als Tür zur Welt da draußen empfand, als etwas Öffnendes, als Freiheit. Mit der Zeit aber kehrte ich meinen Blick in mich selbst hinein, in meine eigene intensive Innenwelt, auch in die Dunkelheit. Mir wurde klar, dass nur dieser Raum in mir maximale Freiheit hat; digitale Überwachung ist das Gegenteil von Freiheit. Diese Einkehr brachte Empfindungen und Schlussfolgerungen zutage, einen Prozess, der prägend für mein künstlerisches Schaffen war.
Für mich als Liedpianistin ist es nun eine Notwendigkeit, ein Bedürfnis, Liederabende mitzugestalten, die diesen sehr persönlichen Bezug in der Konzeption zulassen und den Rahmen eines traditionellen Liederabends aufbrechen. Es begeistert mich sehr, mit diesem inspirierenden Team den Versuch einer Symbiose aus Licht, Musik und Elektronik zu erzeugen, um gesellschaftsverändernde Themen auf besondere Art und Weise ins Bewusstsein zu rücken.
Als Theaterkind ist es mir außerdem eine besondere Freude, bei LICHT auch als Person darstellerisch erzählen zu dürfen und das Publikum in andere Welten einzuladen. Da ich selbst auf der Opernbühne aufgewachsen bin, ist dieser performative Aspekt für mich besonders reizvoll.
Wie empfindest du persönlich den in LICHT thematisierten Konflikt?
[MK] Durch die aktuelle Krise beschleunigt sich der Prozess der Digitalisierung und trotz der Vorteile ist der Preis in meinen Augen einfach zu hoch. Mit zunehmender Beunruhigung beobachte ich im Alltag, dass wir unsere Aufmerksamkeit immer weiter weg von uns, hin zum Außen richten. Also arbeite ich mittlerweile bewusst dagegen an: Immer wieder in mich hineinhören, um eine eigene Haltung zu den Dingen und dem Leben zu entwickeln.
Mediha, du hast zusammen mit der Sängerin Clara Barbier Serrano – die nun leider die Premierenserie nicht bestreiten kann – die Lieder und Arien für diese Inszenierung ausgewählt. Nach welchen Kriterien habt ihr die Stücke zusammengestellt?
Es ging uns um Werke, die uns vor allem durch ihre Textvertonung während der ersten Monate nach Ausbruch der Krise bewegten, die uns halfen, unser teilweise abgestumpftes Inneres wieder zum Leuchten zu bringen.
Clara und ich sind sehr unterschiedliche, beinahe gegensätzliche Persönlichkeiten. Also trugen wir zunächst die unterschiedlichsten musikalischen Impulse zusammen. Interessanterweise fügten sich die Stücke dann wie von allein zueinander: In Purcells und Crumbs Klangästhetik empfanden wir auf tieferer Ebene einen inneren Zusammenhang, der sich wunderbar ergänzt. Intim und intensiv erzählen die Lieder von der Ehrfurcht vor dem kosmischen Kreislauf von Leben und Tod, von pulsierender Urkraft der Natur oder von der tiefgreifenden Liebe zur Musik. Themen, die uns in dieser Zeit in einer neuen Dimension umtrieben.
Selbst wenn man den englischen Texten beim ersten Hören nicht immer durchgehend folgen kann und womöglich keine Hörerfahrung mit Kompositionen des 20. Jahrhunderts hat – so begreift man doch intuitiv, dass gerade etwas Existentielles angesprochen wird, da es direkt in die Seele geht. Darin liegt für mich die Kraft dieser Werke: Sie haben uns daran erinnert, dass wir uns auf das intuitive Verstehen verlassen müssen, wenn die Welt um uns herum auseinanderbricht.
Sarah, du bist quasi auf den letzten Drücker dazugekommen und musstest dich binnen kurzer Zeit in das Repertoire und das Aufführungsszenario einarbeiten. Wie empfindest du die Auswahl und wie geht es dir in der Konfrontation mit Marions Computermusik im 3D-Sound?
[SK] Die Auswahl, die Mediha und Clara getroffen haben, ist beeindruckend und berührend. Das Repertoire ist anspruchsvoll und es hat viel Disziplin und harte Arbeit erfordert, die Stücke in so kurzer Zeit einzustudieren. Marions Musik finde ich extrem spannend, ihre Klänge inspirieren mich. Es ist das erste Mal für mich, dass ich mit einer Computermusikerin zusammenarbeite, und ich empfinde es als eine große Bereicherung.
Ihr beide seid bei LICHT hautnah im Kontakt mit dem Publikum. Das erfordert hohe Konzentration bei der Performance und eine gewisse Nonchalance. Wie geht ihr damit um?
[MK] Voriges Jahr spielte ich mit Clara beim HIDALGO Festival mitten auf einer Verkehrsinsel leise, sphärische Poulenc-Lieder, während der Straßenverkehr um uns herum dröhnte. Seitdem fällt es mir zunehmend leichter, mich von den Energien des Publikums abzugrenzen. Ein Husten bringt mich jetzt jedenfalls nicht mehr aus dem Konzept. Dennoch erfordert es zusätzliche Kraft und zwingt einen, seinen musikalischen Partner noch stärker zu erfühlen, neben all den Emotionen, die man nun auch von Fremden um sich spürt. Die Antennen sind ja aufs Schärfste gespitzt.
In einem nächsten Schritt auch noch zu unterscheiden, wen man fühlen will und wen nicht, sehe ich als gutes Training in Abgrenzung, während ich gleichzeitig in der Musik treibe.
[SK] Diese ungewisse Komponente ist wahrlich eine Herausforderung, aber auch eine große Bereicherung. Ich habe diese Art mit dem Publikum umzugehen erst einmal bei einem Projekt erlebt. Ich kann den gewohnten Abstand, den man durch eine Bühne zum Publikum hat, durchbrechen und nah und ganz direkt durch die Musik mit den Zuhörern kommunizieren. Es entsteht ein Gefühl, zusammen mit den Zuschauern das Projekt jeden Abend neu zu entwickeln. Die Reaktion des Publikums fließt in den Moment mit ein und beeinflusst dadurch die Interpretation. Da keine festen Sitzplätze vergeben werden, wird das „Bühnenbild“ jeden Abend durch das Publikum neu erschaffen und geformt.
Welches Credo habt ihr in eurem künstlerischen Schaffen?
[MK] Sich den Dingen in erster Linie als Mensch zu widmen.
[SK] Der Musik eine Stimme verleihen.
Das Interview wurde geführt von Nadine Kube, Marketing & PR bei der Werkbühne Leipzig.
Weitere Interviews zu LICHT:
mehr SOUND: Interview Komponistin
mehr TECHNIK: Interview Lichtdesigner