mehr LICHT: Interview Regieteam
Anja-Christin Winkler & Ilka Seifert – künstlerische Leitung
Fakten, Gedanken, Hintergründe von und zu LICHTDas Regieteam Anja-Christin Winkler und Ilka Seifert hat gemeinsam die Grundidee zu LICHT entwickelt, die dann in Zusammenarbeit mit den Künstler:innen weiter ausgeformt und zum Leben erweckt wurde.
Das Projekt bringt allein durch den musikalischen „Genremix“ und die technische Umsetzung einige Herausforderungen mit sich. Durch das interaktive Moment – also die Einbeziehung des Publikums – erhält die Inszenierung einen stark experimentellen Charakter. Licht und Musik übernehmen zwar die Regie, doch das Spiel mit der freien Entscheidung des Individuums lässt die Frage nach der Choreografie offen.
Wie kam das Projekt zustande? Was hat euch zum LICHT geführt?
[ACW] Ilka und ich hatten 2019 bei dem Stück Clara im Rückspiegel zum ersten Mal zusammengearbeitet und bereits damals ganz unterschiedliche Medien und Formate miteinander verbunden. Daran wollten wir anknüpfen und weiter gemeinsam experimentieren: Auch in LICHT war klassischer Liedgesang der Ausgangspunkt, den wir nun mit elektronischer Musik und Lichttechnik in einem immersiven Setting „konfrontieren“. Wir wollten eine Situation kreieren, in der sich Klänge des 3D-Soundsystems, alte und neue Kompositionen, Stimme, Bewegung, der Flügel, Licht, aber auch die Reaktionen des Publikums in ein gegenseitiges Wechselspiel begeben.
[IS] Mich interessieren schon seit langem immersive Formate. Bei LICHT sollen die Besucher:innen den eigenen Raum und sich selbst mit der Musik spüren. Das Publikum wird Teil der Aufführung, im engen Kontakt mit den Performerinnen, die keine Rollen spielen, sondern bei sich und ihrer Musik bleiben können.
Worin liegt in Konzeption und Umsetzung der Inszenierung die besondere Herausforderung?
[ACW] Das Schöne, aber auch das Schwierige ist das Arbeiten im sozusagen fluiden Milieu, es gibt keine Grenze zwischen Aufführungs- und Zuschauerraum, wir spielen auf einer 360-Grad-Raumbühne. Es wird die Aufgabe sein, das Stück am Schweben zu halten. Durch das Zusammenspiel der verschiedenen Medien wird sich für das Publikum die Wahrnehmung der Musik im Verlauf des Stückes verändern. Es ist schwierig, dies im Vorhinein ohne Publikum zu simulieren.
[IS] Die Idee, das Publikum selbst interagieren zu lassen, stellte uns zunächst vor technisch herausfordernde Aufgaben. Unser Medienkünstler Gen.Pi hat sich für ein Trackingverfahren entschieden, das er für unsere Zwecke umschreiben musste. Zum anderen weiß man nie genau, wie sich die unterschiedlichen Individuen innerhalb des Schmelztiegels Publikum verhalten. Reagieren sie so, wie wir das angenommen haben, nur weil es bei uns so wäre? Das macht es sehr spannend.
Was war eure Motivation bei der Konzeption? Was glaubt ihr, hofft ihr, mit der Inszenierung bei den Besucher:innen auszulösen?
[IS] Das Gefühl von Versuchung und Gefährdung – natürlich im künstlerischen Sinne. Es soll ein verführerischer Abend sein, überraschend in seinem Verlauf. Ob man sich bestrickt fühlt von den wunderbaren Verwirbelungen des Bühnennebels und der großartigen Musik oder ausgeliefert, weil man nicht recht weiß, wohin mit sich, und auch die Musik manch akustische Verwirrung stiftet – dazwischen mögen alle ihren Weg finden und das Spannungsfeld auch als solches erleben.
Als Künstlerin möchte ich für das Publikum etwas persönlich erfahrbar und nachvollziehbar machen, das mich selbst als Frage bewegt oder beschäftigt. Eine Aufführung ist dabei immer eine Einladung und ein Versuch, der es möglich macht, meine eigene Vorstellung zu überprüfen, abzugleichen und in einen größeren Rahmen zu stellen.
Wie empfindet ihr persönlich den in LICHT thematisierten Konflikt?
[IS] In einem Spannungsfeld zwischen zwei extremen Polen: Ich sitze mit Spaß am Smartphone und bewundere, was die Technik möglich macht. Auf der anderen Seite fühle ich mich der Digitalisierung vollkommen ausgeliefert, wenn ich merke, wie mir meine eigene Wahrnehmungsblase eingerichtet wird, wie mir digitale Medien einen tendenziösen Ausschnitt als das Ganze suggerieren. Puh!
Was sind die NACHT.STÜCKE und wie entstand die Idee zu dem Zyklus?
[IS] Die NACHT als ein Ort oder besser eine (Lebens-)Zeit, in der wir zur Ruhe kommen könnten oder vielmehr wollen. Stattdessen konfrontieren wir uns zur NACHTzeit oft mit unseren Sehnsüchten oder Abgründen. In der Frühromantik, einer wirklich revolutionären Zeit, gestanden Künstler wie Novalis, Tieck, Wackenroder, Schlegel etc. diesen nächtlichen Erscheinungen einen neuen Raum zu, von dem viele Veränderungen ihren Ausgang nahmen. Die NACHT.STÜCKE erlauben es uns, in uns hineinzuhorchen und künstlerisch verschiedene Strategien zu erproben.
[ACW] Es geht in dem Zyklus um die Suche nach der Verortung des Einzelnen in einer sich rasant verändernden Welt. Ilka brachte den Bezug zu den Frühromantikern ins Gespräch, die sich in die Nacht zurückzogen, um der Geschäftigkeit des Tagwerks zu entfliehen und im Dunkeln das „wahre Ich“ zu entdecken. Wir wollen aber nicht zurück in die Romantik. Wir stellen uns eher die Frage nach der „blauen Blume“ von heute.
In den Gesprächen über LICHT haben wir schnell festgestellt, dass sich in dem Kontext ein ganzes Feld an Themen eröffnet, viel zu umfangreich, als dass man sie in einem einzigen Stück behandeln könnte. Geplant sind u. a. eine begehbare Klanginstallation für Streichquartett, Video und Live-Börsenkursverlauf des Dow Jones, ein Chorstück, in dem wir die sieben Todsünden der Agenda 2020 gegenüberstellen und ein Morgendämmerungskonzert in einem Steinbruchsee.
Welches Credo habt ihr in eurem künstlerischen Schaffen?
[ACW] In meinem Studium habe ich gelernt, dass Regisseur:innen künstlerische Prozesse bestimmen, so wie es an den großen Bühnen nach wie vor praktiziert wird. Ich sehe mich zunehmend in der Funktion, Settings zu schaffen, in denen kreative Gruppenprozesse möglich werden. Obwohl wir alle aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen (Lichttechnik, klassischer Liedgesang, Dramaturgie/ Regie, Tracking/Programmierung, Komposition elektronischer Musik), finden wir sehr gut in einem gemeinsamen künstlerischen Prozess zusammen. So zu arbeiten, mit allen Reibungen und Widerständen, ist für mich der Idealzustand.
[IS] Aufheben der Grenze zwischen Performer:innen und Publikum ist mein Thema – Nähe, Kontakt, Dialog.
Das Interview wurde geführt von Nadine Kube, Marketing & PR bei der Werkbühne Leipzig.
Weitere Interviews zu LICHT:
mehr TECHNIK: Interview Lichtdesignermehr SOUND: Interview Komponistin
mehr KLANG: Interview Interpretinnen