ALESIUS – EINE SPURENSUCHE

URAUFFÜHRUNG – Musiktheaterprojekt 2017 im Rahmen des „Kirchentag auf dem Weg – Leipzig“ in der Leipziger Moritzbastei
Komposition: Agnes Ponizil
Inszenierung: Anja-Christin Winkler

AUFFÜHRUNGEN
Freitag, 26. Mai 2017, 15 Uhr (öffentliche Generalprobe)
Samstag, 27. Mai 11 und 17 Uhr Uraufführung in der Moritzbastei Leipzig

Begleitend zu den Aufführungen informiert eine Alesius-Ausstellung in der Kirche Mölkau über dessen Leben.

Alexander Alesius (1500–1565) – ein Leipziger Theologe aus Schottland

Luther kennt jeder! Aber damit die Reformation greifen konnte, waren eine ganze Reihe überzeugender Persönlichkeiten nötig. Viele von ihnen verschwanden im Laufe der Geschichte im Schatten der Protagonisten – wie Alexander Alesius: ein „Leipziger Schotte“, dessen Wiederentdeckung das überregionale Selbstverständnis und die weitläufige Vernetzung der Akteure jener Zeit neu beleuchten würde.

Auf einem Epitaph in der Ecke einer Dorfkirche am Leipziger Stadtrand sieht man den Gelehrten, der 1500 in Edinburgh geboren wurde. Am Augustinerkloster St. Andrews ausgebildet, geriet er in Zweifel über die katholische Lehre, als er den der Häresie angeklagten Patrick Hamilton zum rechten Glauben zurückführen sollte. Als sich Alesius gegen Missstände öffentlich aussprach, wurde er fast zu Tode geprügelt und ins Verlies gesperrt, Freunde verhalfen ihm zur Flucht.

Er studierte in Wittenberg bei Luther und Melanchthon, letzterer verlieh ihm den Gelehrtennamen „Alesius“ (griech. der Wanderer). Alesius lehrte an bedeutenden Universitäten in drei Ländern, in London praktizierte er als Arzt. Er war ein brillanter Rhetoriker, der in diplomatischen Diensten der Wittenberger mit dem englischen Königshof verhandelte und war befreundet mit den Konstrukteuren der anglikanischen Kirche Thomas Cranmer und Thomas Cromwell. Melanchthon entsendete ihn als Verhandlungsführer zu internationalen Gesprächen im Rahmen des Trienter Konzils. Er wirkte als angesehener Professor für Theologie an der Universität Leipzig und wurde schließlich deren Rektor.
Alesius ist der einzige Ausländer im Sachsen der Reformationszeit, dem eine solche akademische Karriere ermöglicht wurde. Es spricht einerseits für die außergewöhnliche Persönlichkeit des Grenzgängers, dessen internationale Erfahrungen man wertschätzte, und andererseits für die Weltoffenheit Leipzigs und seiner Universität.
 
Diese Zeichnung ließ Alesius als Schmuckblatt im Matrikelbuch zu seiner Amtszeit als Rektor der Universität Leipzig 1561 anfertigen. AAD - steht für Alexander Alesius Doktor. Die Figur stellt vermutlich den Evangelisten Johannes dar.

Musiktheater als Weg der lebendigen Geschichtsforschung

Alesius hat „europäisch“ gedacht, er war einer der wenigen, der die Reformation als ein internationales Phänomen nicht nur gesehen, sondern in verschiedenen Ausprägungen am eigenen Leib erfahren hat.
Unser Anliegen ist es, Alesius hinsichtlich seiner Wirkung nicht nur jeweils regional, sondern als international agierender Gelehrter zu betrachten. Wir sehen es als Auftrag, die Grenzen, die Alesius in seinem Leben überwand, in unserer Forschung zu überwinden. Dazu bauen wir ein Netz von Historikern, interessierten Laien, Kirchgemeinden, Künstlern, Musikern, Unterstützern und Förderern an seinen Wirkungsstätten auf, die ihre besonderen Perspektiven in die Betrachtungen einfließen lassen.

Die historischen Untersuchungen helfen uns, Antworten auf konkrete Fragen zu finden: wie einzelne Personen mit ihrem Wirken die Nachwelt prägten und welche für uns relevanten Erfahrungen sie in der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs sammelten. Was bedeutete es, Neuland zu betreten, weil man erkannte, dass gesellschaftliche Entwicklungen eine falsche Richtung nehmen? Was bedeutete es, persönliche bisher als unumstößlich geltende weltanschauliche Grundfeste außer Kraft zu setzen und sich aus Überzeugung in den Widerstand zu begeben, und dabei dem inneren und äußeren Druck standzuhalten?
Dieser Vorgang der Suche nach einer verschollenen historischen Figur – und das ist das Besondere an diesem Theaterstück – wird selbst Teil des künstlerischen Schaffensprozesses. Historische Forschung als ein lebendiger Prozess, der die Vergangenheit nicht als etwas Abgeschlossenes betrachtet, sondern als etwas, das durch die Kunst, die Musik, die Fantasie dem Vergessen entrissen werden kann und zum Leben erweckt wird.
Unsere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist das Ringen darum, zu verstehen, was war, um daraus unseren Platz in der Gegenwart zu bestimmen.

In diesem Musiktheaterstück gab es am Anfang der Proben kein fertiges Stück, keine Partitur. Es gab eine Sammlung mit biografischem Material, Aufzeichnungen, Originaldrucken, Briefen. Gemeinsam mit den Sängern und Musikern begaben sich Regisseurin und Komponistin auf die Suche.

Es gibt die Rolle der Journalistin, die zu Alesius recherchiert und die auf verschiedene Weise versucht, ihm nahe zukommen. So versucht sie z. B. mit Feder und Tinte zu schreiben und die Schrift des Alesius zu imitieren, sie unterzieht die Schrift einer Schriftanalyse oder untersucht am Epitaph ganz genau seine Gesichtszüge. Dies hat die Sängerin tatsächlich selbst getan oder auch mithilfe eines Kalligrafen gelernt, mit der Feder zu schreiben und die Schrift des Alesius zu kopieren. Der Klang, der Rhythmus, den die Feder durch das Kratzen auf dem Papier erzeugt, ist der gleiche, den er hörte, etwa 500 Jahre zuvor. Die Erfahrungen, die die Sängerin bei ihren Erforschungen machte, flossen direkt in die Szene ein. Im Stück entstehen in der Fantasie der Journalistin Momente, wie sie sich vielleicht abgespielt haben könnten. Die Suche der Journalistin und diese Momentaufnahmen bilden das Stück.

Auch die Musik entsteht auf der Probe. Als Ausgangsmaterial dient die Musik des Komponisten Johann Walter, der als Musiker gemeinsam mit Luther an der Gestaltung des neuen evangelischen Gottesdienstes arbeitete. Doch fungiert diese alte Musik bei uns eher als eine Fähre zwischen den Zeiten. In den Szenen selbst kommuniziert sie den gegenwärtigen Moment, wie z. B. in der Gefängnisszene, in der Alesius den angeklagten Patrick Hamilton zum rechten Glauben zurückführen soll und dabei selbst in Zweifel gerät, oder in der Traumszene, in der Anne Boleyn hingerichtet wird. In der letzten Szene – einer Auseinandersetzung zwischen Melanchthon und Alesius über die Durchsetzung des Leipziger Interims – landen wir in der multimedialen Gegenwart politischer Auseinandersetzungen.
MITWIRKENDE
Komposition – Agnes Ponizil
Libretto – Anja-Christin Winkler, Michael Herrmann
Musikalische Leitung – Agnes Ponizil
Projektleitung und Inszenierung: Anja-Christin Winkler
Bühne, Kostüm, Video – Patricia Ulbricht 
Regieassistenz  – Despina Rhaue
Produktion – Sophie Renz

BESETZUNG
Katharina, eine Journalistin – Sopran Fabienne Haßlöwer
Alesius - Bariton – Diogo Mendes
Melanchthon, Hamilton, Cranmer – Altus – Etienne Walch

Fagott – Martha Benkendorf
Posaune – Antonia Hausmann
Kornett – Andreas Nordheim
Präpariertes Klavier – Anne-Kathrin Wagler

Fachliche Beratung – Dr. Annette Hagan, Dr. Markus Hartmann, Dr. Torsten Woitkowitz, Dr. Johannes Herrmann, Dipl. Phil. Regina Jutta Ponizil, Eva Klauke , Prof. Dr. Rainer Kößling, Dr. Gotthelf Wiedermann, Prof. Dr. Armin Kohnle, Andrej Loll, Alexandra Czok
EMPFEHLUNGEN & KOOPERATIONEN
  • Empfehlung durch Prof. Dr. Armin Kohnle, Theologische Fakultät, Leipzig
  • Empfehlung der Kulturbürgermeisterin der Stadt Leipzig, Dr. Skadi Jennicke
  • Kooperationszusage durch die National Library of Scotland

FÖRDERUNGEN
Das Projekt wurde gefördert durch

Biografie Alexander Alesius (1500–1565)

Er wuchs als Alexander Alane in Edinburgh auf, studierte in St. Andrews und kam dort mit den neuen reformatorischen Lehren in Berührung: Patrick Hamilton, schottischer Theologe und Verehrer Martin Luthers wurde in St. Andrews der Ketzerei angeklagt und zum Verhör vorgeladen. Alexander Alane sollte ihn auf den rechten Weg zurück bringen. Doch das Gegenteil geschah: Alane war von den Argumenten Hamiltons angetan. Hamilton wurde in einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt und sofort öffentlich verbrannt. Alane, nun selbst in Verdacht der Ketzerei geraten, musste aus Schottland fliehen, über verschiedene Stationen kam er nach Wittenberg, studierte bei Melanchthon, der ihm den Gelehrtennamen Alesius verlieh (lat. der Wanderer).
Alesius wurde von Heinrich VIII., König von England, als Professor an die Universität Cambridge entsandt, später durch Joachim von Brandenburg an die Viadrina nach Frankfurt (Oder) berufen, um dort den ersten protestantischen Lehrstuhl in Brandenburg aufzubauen. Schließlich folgte er dem Ruf des Landesherren Moritz von Sachsen an die Universität Leipzig und wurde dort 1555 und 1561 zum Rektor der Universität Leipzig gewählt.
Als Gesandter zunächst Brandenburgs, später Sachsens vertrat er in zahlreichen Gesprächsrunden auf internationalem Parkett die reformatorischen Positionen Luthers und Melanchthons und nahm dort eine exponierte Stellung ein.

Alesius an der Universität Leipzig 1542–1565

(Text von Gotthelf Wiedermann, Universität Cambridge)
Alesius genoss nicht nur das Vertrauen seiner Landesherren, der (Kur-)fürsten von Sachsen Moritz und August von Sachsen, sondern verstand sich auch aufs Beste mit den führenden Männern der Universität, Caspar Borner, Ludwig Fachs und Joachim Camerarius, deren evangelische und humanistische Anliegen er teilte.
1543 hielt er seine Disputation pro loco und 1544 seine Aufnahme in die theologische Fakultät. Auf Betreiben von Ludwig Fachs und Johannes Pfeffinger erhielt er die freiwerdende theologische Professur.
Die Reform der Universität war nach dem Tode Herzog Georgs 1539 eingeleitet worden, gelangte aber erst in der Regierungszeit von Herzog Moritz nach 1542 zu ihrer Vollendung. Dieser hatte ein großes Interesse daran, seine Hochschule finanziell und intellektuell so auszustatten, dass sie mit der Wittenberger Universität konkurrieren konnte. Alesius erfüllte die an ihn gestellten Erwartungen in jeder Hinsicht und trug wesentlich zum Aufschwung der Leipziger Universität nach 1542 bei – eine Tatsache, die bisher kaum gewürdigt worden ist!

In der Regel wird Johannes Pfeffinger als der führende Theologe in Leipzig angesehen, sei es, weil er als Superintendent das Konsistorium dort leitete, sei es, weil er durch seine Thesen über die Beteiligung des menschlichen Willens bei der Bekehrung den synergistischen Streit auslöste. Es mag sein, dass Pfeffinger die herausragende Persönlichkeit in der regionalen Kirchenpolitik des albertinischen Sachsens war, aber ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man die literarische Produktion der Leipziger Theologen und deren Rolle in überregionalen Angelegenheiten betrachtet. Hier muss Alesius unter seinen Kollegen die erste Stelle zugestanden werden. Fast immer war es Alesius, der die Leipziger Universität oder seinen Landesherren bei den Verhandlungen mit der römischen Kirche und bei innerprotestantischen Streitigkeiten vertrat, und während Alesius in seiner Leipziger Zeit über vierzig Werke veröffentlichte, können seine Kollegen Pfeffinger, Ziegler und Schirrmeister nur mit einer geringen Anzahl meist kleinerer Schriften aufwarten, die sie sich noch zum Teil von Melanchthon verfassen ließen. Ob als Exeget oder als Dogmatiker, als Kontroverstheologe oder einfach als Lehrer von Generationen sächsischer Pfarrer, Alesius war der führende und produktivste unter den Leipziger Theologen. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Vorlesungen über die Bücher des Alten und Neuen Testaments zu halten.
Der Ertrag dieser Arbeit ist in seinen Kommentaren über das Johannesevangelium, den Römerbrief, die Timotheusbriefe, den Titusbrief und schließlich in seinem monumentalen Psalmenkommentar von 1554 zu finden, der wegen seiner philologischen und literarkritischen Expertise von vielen Zeitgenossen sehr geschätzt war. Seine Kommentare erfreuten sich großer Auflagen und, wie der Bibliotheksbefund zeigt, einer weiten Verbreitung. Sie waren wohl der bekannteste Teil seines literarischen Werkes.
Darüber hinaus reagierte Alesius mit einer großen Anzahl von Disputationen, für die er offenbar ein besonderes Talent besaß, auf fast alle theologischen Herausforderungen seiner Zeit. Schließlich bezeugen die beiden Ausgaben seines auf Melanchthon zurückgehenden Katechismus sein Interesse an Fragen der Religionspädagogik.
Alesius führte mehrere Male das Amt des Dekans der theologischen Fakultät (WiSe 1545/6 und 1552/3) und wurde zweimal zum Rektor der Universität gewählt (SoSe 1555 und 1561).